Aufgrund der starken Stigmatisierung muss in Vorarlberg vieles im Verborgenen stattfinden. Weil die Politik nicht für die nötigen Rahmenbedingungen sorgt, sind ab 2024 keine Schwangerschaftsabbrüche mehr gewährleistet.
Der einzige Arzt in Vorarlberg, der – medizinisch nicht indizierte – Schwangerschaftsabbrüche vornimmt, geht mit Jahresende in Pension. Eine Lösung, was danach kommt, gibt es noch immer nicht. Die Crux ist: Es traut sich niemand, mit dem eigenen Namen in Vorarlberg für Schwangerschaftsabbrüche zu stehen.
Seit fünf Jahren schlägt der Gynäkologe Benedikt Hostenkamp Alarm, dass er nun wirklich bald in den Ruhestand geht. Aber erst jetzt wird das Thema von der Politik aufgegriffen. Und es ist eine heiße Kartoffel, die niemand anfassen will. Kaum sickern Pläne durch, wo Abtreibungen künftig durchgeführt werden könnten, schon demonstrieren wieder ein paar katholische Erzkonservative. 80 Personen waren es vergangenen Montag. Zum Teil steckt der spanische Verein Citizen-Go dahinter, der schon gegen Impfungen mobilisiert hat. Zum Teil Bürger:innen, die einfach den Frauen das Recht auf Selbstbestimmung absprechen wollen.
Eigentlich gibt es genügend Gynäkolog:innen
Gibt es denn niemanden im Ländle, der einen Abbruch durchführen würde? Doch. Das schon. „Es gibt genug Gynäkolog:innen, die den Eingriff durchführen würden“, erzählt eine Vorarlberger Hebamme der Wiener Zeitung. Natürlich unter Zusicherung der Anonymität. Denn niemand will hier mit seinem Namen und dem Thema verknüpft werden. Denn all diese Gynäkolog:innen haben Kinder, sagt die Hebamme. „Die wollen nicht, dass die in der Schule deswegen blöd angeredet werden.“ Und „um ehrlich zu sein, ich würde das auch nicht wollen.“ Zu stark sind die Gegner:innen der Abtreibungen. Politiker:innen bekommen hier an ihre Privatadressen Plastikembryonen und Farbbeutel geliefert. Die Botschaft ist ganz klar: Wir wissen, wo du wohnst.
Wallner: Erlaubte Abbrüche im Krankenhaus ein „Extrem“
Ein Grundmaß an Anonymität wäre in den vier Krankenhäusern Vorarlbergs gegeben, die gynäkologische Ambulanzen haben: Und dort gebe es dem Vernehmen nach auch genug Ärzt:innen, die bereit wären, das zu machen. Aber ein Abbruch im Krankenhaus, privat oder anders finanziert, ist für den Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) ein absolutes No-Go. Erst Ende September erklärte er, weder in die eine noch in die andere Richtung „ins Extreme“ rennen zu wollen. Die Extreme in diesem Fall: Abbrüche komplett zu verhindern – oder sie im Krankenhaus durchführen zu lassen.
Wallner erklärte auch: „Lebensschutz und Fristenregelung unter einen Hut zu kriegen ist keine leichte Aufgabe.“ Und das sagt er im Wissen, dass die Mehrzahl der Bundesländer in Österreich es geschafft hat.
Ausreichend Vorbilder in Österreich
In sechs von neun österreichischen Bundesländern werden Abtreibungen im Spital durchgeführt.
Präzedenzfälle, wie man es machen könnte, wären genug da. Ob Wallner aus persönlicher Motivation oder politischem Kalkül gegen Abtreibungen mauert, ist nicht bekannt.
Aber auch er weiß: Die Versorgung sollte zumindest nicht offiziell gestoppt werden. Wallner will also weiterhin eine Privatpraxis. Wo aber wiederum Menschen arbeiten müssten, die mit ihrem Namen an der Klingel stehen.
In der Zwischenzeit wurde an vielen Lösungen geschraubt, und sie wurden wieder verworfen. Darf man die Abbrüche privat in den Spitals-Räumlichkeiten machen, wo sich anderntags ein Physiotherapeut einmietet? Soll man die Abbrüche in einem Nebengebäude des Spitals machen? Soll man einen Container auf dem Spitalsgelände aufstellen, und dort die Abbrüche machen? Aber kaum wird eine Lösung in den Medien kolportiert, schon packen die Gegner wieder die kleinen weißen Särge aus und gehen demonstrieren.
Die Vorarlberger Gynäkologin Sybille Spiegel meint etwa nach dem Treffen der Fachgruppe im Gespräch mit der Wiener Zeitung: Sie wolle jetzt die Politik arbeiten lassen und vertraue darauf, dass es in den nächsten Wochen eine Lösung geben werde. Also offiziell Abwarten. Aber die Uhr tickt. Das Arbeitsleben von Benedikt Hostenkamp ist in 10 Wochen vorbei. Und alles, was es bisher gibt, ist die Idee, das Personalwohnheim des Bregenzer Spitals umzubauen. Und das ist mit Anfang 2024 beileibe noch nicht fertig, so oder so. Die letzten paar Male, als eine Lösung präsentiert wurde, wurde wieder zurückgerudert.
„Es ist so eine scheinheilige Partie“
Dieser Tanz um die Örtlichkeiten ist völlig „lächerlich“, meint die Hebamme. In einem Krankenhaus werden ja auch Abbrüche vorgenommen, die medizinisch indiziert sind. Weil die Laien davon ausgehen, das bedeute nur, dass sie durchgeführt werden, im Falle der Lebensgefahr für die Mutter. Aber medizinisch indiziert bedeutet auch, wenn der Embryo Behinderungen aufweist. „Wenn ich schon so moralisch bin, dann müsste ich auch damit ein Problem haben. Es ist so eine scheinheilige Partie bei uns“, sagt die Hebamme.
Das Europäische Parlament bewertet übrigens auf dem European Abortion Atlas mit einem Punktesystem, wie gut die jeweilige Versorgungslage in den jeweiligen Ländern ist. Einer der Punkte: Informationen für einen etwaigen Abbruch sollen einfach und transparent zugänglich sein. Denn das Zeitfenster für einen legalen Abbruch schließt sich nach drei Monaten. Je schneller Informationen verfügbar sind, desto besser ist es für die Betroffene.
Alles bleibt im Verborgenen
In Vorarlberg ist das Gegenteil der Fall. Aufgrund des starken Widerstands der Abtreibungs-Gegner wird eher auf geheime Lösungen hingearbeitet. „Man hätte es vielleicht einfach machen sollen, ohne damit groß an die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt die Hebamme, und meint eine Abtreibungslösung nahe des Krankenhauses. Das ist eine Grundstimmung, die sich bei der Recherche zu diesem Artikel oft wiederholt: Vielleicht gäbe es eine Lösung, wenn die Fundamentalist:innen es einfach nicht mitkriegen? Genauso, wie es für sozial schwache Betroffene dann doch noch über nicht näher genannt wollen werdende Vereine eine Finanzierungsmöglichkeit für einen Abbruch gibt, der – als Privatleistung – 800 Euro kostet. Aber wenn die Gegner davon Wind bekommen, dann werden eventuell auch diese Kanäle versiegen. Also bitte im Verborgenen bleiben.
Dass ein Abbruch als Privatleistung 800 Euro kostet, sei übrigens auch ein Skandal, findet die Hebamme: „Es werden auch andere Eingriffe in einem Spital gemacht, mit denen ich nicht einverstanden bin. Und trotzdem finanziere ich die mit. Genauso wie die Autobahn. So ist das nun mal in einer Solidargesellschaft.“
In Vorarlberg wird die Solidargemeinschaft bei der Frauengesundheit wieder in den Hinterhof geschoben. Bloß nicht genauer hinschauen, es gibt nichts zum Sehen.
Author: Paul Moore
Last Updated: 1702011962
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